„Lass mich dich lernen, Dein Denken und Sprechen, Dein Fragen und Dasein, damit ich daran die Botschaft neu lernen kann, die ich Dir zu überliefern habe.“
In diesem Zitat von Klaus Hemmerle verdichtet sich der tiefere Sinn, das Evangelium je neu zu kontextualisieren. Es gibt die Schönheit und Kraft des Evangeliums „nicht chemisch rein“, es gibt sie nur übersetzt in eine konkrete Sprache und Kultur. Dabei steht das Hören immer am Anfang des Kontextualisierungsprozesses. Es beginnt mit dem schöpferischen Hören auf Fragen und Bedürfnisse, das Lebensgefühl und die kulturellen Ausdrucksformen der Menschen. „Double listening“ – doppeltes Hören. Nah am Menschen und nah an Gott. Die Sinus-Lebensweltstudie kann diesen Hör-Prozess unterstützen. Sie gruppiert Menschen, die sich in ihrer Lebensweise und ‐auffassung ähneln, in zehn unterschiedliche Milieus. Grundlegende Werte gehen dabei ebenso in die Analyse ein wie die soziale Lage und Werte. Die Lebenswelten ersetzen nicht die eigenen Wahrnehmungen. Sie schärfen den Blick und überraschen mit originellen Einsichten.
Die „eigentliche Pointe“ der Lebensweltforschung liegt nicht darin, die diversen Milieus nun besser erreichen zu können. Vielmehr schenkt sie ausgezeichnete Lernchancen und Impulse zur eigenen Veränderung. Es geht um einen Paradigmenwechsel von einer Haltung des ‚Erreichens‘ zu einer Haltung des ‚Hörens“ und ‚Lernens‘. In der Hinwendung zu den Milieus lässt sich zum Beispiel fragen: Welche mir verborgene Facette Gottes nehmen Menschen in diesem Milieu wahr? Welche Elemente unserer christlichen Tradition kommen uns in dieser Lebenswelt „aktualisiert/andersartig“ entgegen? Wo fordern sie uns als Kirche heraus, unsere vertrauten Denkmuster und Sichtweisen zu überdenken bzw. loszulassen? Die zweite Herausforderung besteht darin, auch in der Praxis der Frage nachzugehen, welche Räume und Formate angemessen sind, um als Lerngemeinschaft „die Schönheit des Evangeliums gemeinsam zu entdecken“.