Vom 27. August bis 2. September fand im rumänischen Sibiu (Hermannstadt) die 9. Vollversammlung der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE) statt. Unter den 150 Delegierten aus nahezu 100 Kirchen waren Anna Kempe, Mitglied des Landessynodalausschusses, und Woldemar Flake, Ökumene-Referent der Service Agentur (vormals Haus kirchlicher Dienste), aus der Landeskirche Hannovers mit dabei. Die Theologiestudentin Katharina Lautenschläger begleitete die beiden und unterstützte als Steward die Organisation und das Programm vor Ort.
Die GEKE befasst sich nicht nur mit kirchlichen Angelegenheiten, sondern auch mit globalen Herausforderungen wie Migration, Minderheitenfragen, dem Ukraine-Konflikt, der Lage im Nahen Osten sowie dem interreligiösen Dialog. Im Interview resümieren Kempe und Flake die Zeit in Sibiu.
Wie würden Sie Ihre Zeit mit der GEKE in Sibiu in drei Worten beschreiben?
Woldemar Flake: Intensiv wäre das erste Wort. Das Zweite wäre heiß. Das war durch die hohen Temperaturen körperlich anstrengend für mich. Und das dritte wäre geschwisterlich.
Anna Kempe: Heiß und intensiv, habe ich auch gedacht. Ich finde, es war auch sehr kommunikativ, reich an Gesprächen, Austausch mit vielen Menschen. Daher begegnungsreich.
Das Motto der GEKE war „Einheit in der Verschiedenheit“. Was waren denn die Schwerpunkte und großen Themen, die besprochen wurden?
Flake: Die meisten Diskussionen gab es wahrscheinlich um die Papiere Demokratie und Frieden und die Einbringung des Papiers zu Gender, Sexualität, Ehe und Familie. Es ging oft auch um Verfahren, wie man über Dinge sprechen kann, also eine Metadiskussion.
Das Thema Migration war auch von großer Bedeutung. Vor allem die innereuropäische Migration. Hier fand ich es spannend, die Migration aus der Sicht der Länder zu sehen, aus denen Menschen weggehen. Das betrifft Rumänien ja stark. Und hier geht es dann auch darum, wie die Gemeinschaft evangelischer Kirchen in Europa die Vielfalt der Migration darstellen und widerspiegeln kann. Wie wird man aus einer rein weißen Kirche zu einer multilingualen und bunten?
Aber über allem war für mich die Frage, wie können wir versöhnte Verschiedenheit leben? Wie können wir in geschwisterlicher Einheit leben und Unterschiedlichkeiten aushalten? Christliches Reden von Gott war auch ein großer Themenschwerpunkt.
Kempe: Ja, das empfinde ich auch so. Und dann natürlich die Fragen zu Veränderungen und Zukunft der Kirche: Wie leben wir als Kirche und Gemeinde mit sich verändernden Mitgliedszahlen? Wie gehen wir mit strukturellen Änderungen um? Was machen wir mit unseren Gebäuden? Brauchen wir eigene Gebäude? Es war interessant zu hören, dass manche Gemeinden keine eigenen Gebäude mehr haben und sich irgendwo einmieten. Es tat gut, den eigenen Blick hier zu weiten und zu schauen, wie organisieren sich andere, die vielleicht schon länger in solchen Situationen sind. Ich habe dann auch oft gedacht, dass es uns verhältnismäßig gut geht, auch wenn klar ist, dass auch hier Veränderungen kommen und es in Zukunft anders aussehen wird.
Gab es auch Herausforderungen in all diesen Gesprächen?
Flake: Natürlich war auch immer die Frage: Wie gehen wir innerhalb der GEKE mit Dissens um? Es gab eine Situation, wo man fast in eine Kampfabstimmung reingegangen wäre und wo sich dann ein Teil europäischer Kirchen gegen den anderen durchgesetzt hätte. Zum Glück hat jemand sehr weise gesagt: ‚Lasst uns das nochmal eine Nacht aufschieben und jetzt nicht abstimmen‘. Am nächsten Tag wurde dann ein Kompromiss gefunden, dem fast alle zustimmen konnten.
Aber das ist auch das Wichtige an der GEKE. GEKE heißt nicht, jetzt haben wir es ein für alle Mal geschafft, eine Verbindung herzustellen, sondern versöhnte Verschiedenheit heißt auch immer, dass die Gemeinschaft in Gefahr ist. Dass man die verschiedenen Geschwindigkeiten, mit den Themen diskutiert werden, nicht ausreichend wahrnimmt, dass man Leute auf dem Weg möglicherweise verliert oder abhängt.
Daher ist es wichtig, dass in den nächsten Jahren darüber gesprochen wird, wie geht man mit auszuhaltender Unterschiedlichkeit im Kontext von versöhnter Verschiedenheit um. Viele Diskussionen, besonders über bestimmte ethische Fragen, haben ein unglaubliches Potenzial zu spalten. In Sibiu ist es dieses Jahr gelungen, dass wir uns letztlich nicht spalten lassen haben. Das fand ich dann am Ende doch eine ganz große Leistung des Heiligen Geistes. Es ist also möglich, ganz verschieden zu sein und trotzdem in Geschwisterlichkeit zusammenzubleiben.
Kempe: Ja, das fand ich auch sehr beeindruckend, dass das gelungen ist und dass das möglich ist. Und dass es manchmal eben okay ist, einen Schritt zurückzutreten und sich die Zeit zu nehmen, nochmal nachzudenken, in uns zu gehen und uns gegenseitig nochmal genau zuzuhören und hinzuschauen.
Flake: Dennoch darf man das Trennende auch nicht überspielen. Es gab eine Diskussion zum Thema Krieg und Frieden und Versöhnung. Da saßen Leute aus Nordirland, Kroatien, der Ukraine, Russland und aus der Schweiz zusammen. Und dann musste man eben aushalten, dass man an einem Punkt ist, an dem man nicht einfach jetzt Vorschläge machen kann, wie Versöhnung funktioniert. Sondern man hat dann einfach miteinander geschwiegen und an dem Krieg und der Unversöhnlichkeit gemeinsam gelitten. Das war für mich mit die größte Leistung der GEKE, dass man es geschafft hat, über die schwierigen Themen, wie zum Beispiel Gender, in den Anfang eines Gespräches hineinzukommen.
Gab es ein persönliches Highlight?
Kempe: Gemeinsame Gottesdienste, Andachten und das Abendmahl feiern waren sehr besonders für mich. Mit so vielen in der Kirche zu sein, mit so fantastischer Musik und unterschiedlichen Sprachen zu singen – es war ein so starkes Miteinander, eine so starke Gemeinschaft und auch Verbundenheit zu spüren.
Flake: Die GEKE ist eine Gemeinschaft von ganz großen und ganz winzig kleinen Kirchen, und dass die da alle miteinander gleichberechtigt auf Augenhöhe sprechen können. Es gibt tatsächlich Kirchen, die nur aus einer Gemeinde bestehen und Mitglied der GEKE sind und dort sprechen und an den Prozessen beteiligt sind. Das war etwas sehr Besonderes für mich, dass man erstmal von der Gemeinschaft ausgeht und sagt: ‚Wir sind gemeinsame Kirche‘. Wir sprechen uns unser Kirchesein nicht gegenseitig ab oder machen Abstriche, was unsere Ämter angeht. Wir diskutieren zusammen und sind eine bunte Wirklichkeit. Hier ist aber auch die Verpflichtung an die großen Kirchen, sich auch immer wieder zurückzunehmen. Das funktioniert mal mehr oder weniger.
Was ist für die GEKE in Zukunft wichtig?
Flake: Es hat sich gezeigt, dass die Regionalgruppen zwischen den Vollversammlungen immer wichtiger sind und wir uns dort als Landeskirche Hannovers mehr in die Regionalgruppe Nordwest, also Nordwest-Europa, einbringen sollten. Hier hoffe ich auf viel Vernetzung und voneinander hören und auch das Prinzip der versöhnten Verschiedenheit weiter lernen zu können.
Kempe: Ein bisschen kritisch wurde angemerkt, dass die Stimme der Jugend nicht richtig gehört wurde, die sollten in Zukunft auch einen größeren Slot bekommen.
Die GEKE vertritt rund 40 Millionen evangelische Christinnen und Christen und wurde 1973 gegründet. Damals noch unter dem Namen „Leuenberger Kirchengemeinschaft, endete so eine Trennung innerhalb der evangelischen Kirchen. Die GEKE-Vollversammlung mit 150 Delegierten stand unter dem Leitthema „Im Licht Christi – berufen zur Hoffnung“. 96 lutherische, methodistische, reformierte und unierte Kirchen aus über 30 Ländern Europas und auch aus Südamerika sind Mitgliedskirchen. Der Dachverband versteht sich als evangelische Stimme Europas. Die Kirchengemeinschaft will den sozialen und kulturellen Zusammenhalt in Europa stärken. Die Mitgliedskirchen gewähren sich Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft. Die Vollversammlung tritt in der Regel alle sechs Jahre zusammen.
Stina Welzig/Evangelische Medienarbeit