Was ist Gewalt?
Laut Duden finden sich positive und negative Bedeutungen des Begriffes Gewalt. Zum einen analog dem germanischen Wort „waltan“ im Sinne von „Verwalten“ z. B. wie bei der staatlichen Ordnung und der Gewaltenteilung, also die legitime Befugnis etwas zu bestimmen oder zu herrschen (vgl. Duden 2016); vergleichbar dem lateinischen Begriff „potestas“.
Die destruktive negative Seite zeigt sich bei der Anwendung physischer oder psychischer Kraft, die unrechtmäßig bzw. unter Zwang erfolgt (vgl. ebd), was dem lateinischen Ausdruck „violentia“
entspricht.
Aggressivität bezeichnet einen Verhaltensimpuls,
während Aggression, in
seiner extremsten Form, aber auch allgemein
mit dem Begriff Gewalt synonym
verwendet wird (vgl. Schubarth 2013,
17; Kilb 2012 S. 11).
Neben der physischen und psychischen
Gewalt wird in strukturelle und institutionelle
Gewalt unterschieden. Galtung
beschreibt die strukturelle Gewalt als
„die vermeidbare Beeinträchtigung
grundlegender menschlicher Bedürfnisse
oder, allgemeiner ausgedrückt, des Lebens,
die den realen Grad der Bedürfnisbefriedigung
unter das herabsetzt, was
potentiell möglich ist (Galtung 1969, S.
167 ff., zit. in Kilb 2012, S. 10). Eine differenziertere
Betrachtung versucht Kilb,
indem er den Kontext stärker abbildet,
hiernach wäre Gewalt, „historisch in
jeweils spezifischer Form eine physische
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TEIL 1 Basiswissen
oder auch eine stark einschränkende psychische
Einwirkung oder Einflussnahme
eines ausübenden Akteurs (bzw. einer
ausübenden Gruppe oder Institution)
auf einen anderen Akteur, die gegen
dessen augenblicklichen Willen oder
dessen augenblickliches Interesse erfolgt“
(Kilb 2012, S. 10). Die WHO fasst
Gewalt zusammen, als den „absichtlichen
Gebrauch von angedrohtem oder
tatsächlichem körperlichem Zwang oder
physischer Macht gegen die eigene oder
eine andere Person, gegen eine Gruppe
oder Gemeinschaft, der entweder konkret
oder mit hoher Wahrscheinlichkeit
zu Verletzungen, Tod, psychischen Schäden,
Fehlentwicklung oder Deprivation
führt“ (WHO 2003, S. 6). Gegen wen sich
die Gewalt richtet, wird gegliedert nach
der Gewalt gegen die eigene Person
(Selbstverletzung, Suizid), zwischenmenschlicher
Gewalt (im persönlichen
Nahbereich Familie/Partnerschaft) und
kollektiver Gewalt (Staaten, organisierten
politischen Gruppen, Milizen und
Terrororganisationen) (vgl. WHO 2003,
S.7). Die Gewaltursachen entstammen
einer komplexen Wechselwirkung von
biologischen, sozialen, kulturellen, wirtschaftlichen
und politischen Faktoren
(vgl. WHO 2013, S. 13).
Das Berauben von Möglichkeiten, die
Einschränkung von Willen und Interessen,
sowie die Verhinderung von Bedürfnisbefriedigung
kennzeichnen hiernach
strukturelle Gewalt. Biologische, biopsychische
und biopsychosoziale Bedürfnisse
sind nicht zu verwechseln mit Wünschen,
sondern sind (über)lebenswichtig, da
ihre Abwesenheit kurz- oder langfristig
zu körperlichen bzw. seelischen Schäden
führt (vgl. Klassen 2010, S. 43).
Die Beobachtung der Gewalt als eine
Form des Sozialen Handelns erfährt erst
durch einen Dritten, eine Gruppe oder
die jeweilige Gesellschaft eine kulturellen
Wertung, aus der sich wiederum
Normen oder Gesetze ableiten können
(vgl. Kilb 2012, S. 152 ff.).
Beispiel: Die körperliche Züchtigung
war bis in die 70er Jahre an dt. Schulen
erlaubt. Ein Recht auf gewaltfreie
Erziehung wurde im BGB erst Anfang
der 2000er Jahre festgeschrieben; diese
Gesetze sind eine Antwort auf die Entwicklung
einer Kultur der gewaltfreien
Erziehung.
Die Verantwortung, die durch die Beobachtung
und Einordnung des Unrechts
entsteht, ist ein Kernstück des Projektes
„Schritte gegen Tritte“ und wird am
Beispiel personaler (Nahbereich) und
struktureller Gewalt bearbeitet.
Galtung verdeutlicht, dass die Beendigung
von direkter (personaler), struktureller
und kultureller Gewalt nicht durch
die Aufhebung oder die Abwesenheit von
direkten Kontakten, Strukturen oder Kultur
möglich ist. Im Gegensatz zu diesem
negativen Frieden, der Vereinsamung,
Isolation und Gesetzlosigkeit bedeuten
würde, besteht der positive Frieden in der
Gegenwart von Kooperation und Harmonie,
der Gegenseitigkeit und Gleichheit
und einer Kultur des Friedens und des
Dialogs (vgl. Galtung 2010, S. 85).
Karl Gröpler
Dipl.-Soz.arb., Systemischer Berater
und zertifizierte Präventions- und
Integrationsfachkraft
E-Mail: k-h.groepler@ostfalia