Fast alle neuen religiösen Gruppen mit hinduistischem Hintergrund weisen als charakteristisches Merkmal eine zentrale Gestalt auf, um die sich Leben und Glauben der Anhänger dreht: den Guru. Der Begriff hat für uns einen negativen Klang, dabei handelt es sich um eine Bezeichnung für den spirituellen Meister, wie er in die hinduistische Tradition gehört. Jemand, der heute als »klassischer« Guru anerkannt werden möchte, muss der rechtmäßige Nachfolger seines eigenen Guru sein und damit in einer Traditionskette (Guruparampara) stehen, die bis zu der von dieser Linie verehrten höchsten Gottheit (adiguru) zurückreicht. Außerdem muss ein Guru bei der Ernennung durch seinen eigenen Meister mit einem oder mehreren Mantras (heiliges Wort, Gebetsformel) ausgestattet worden sein. Als Guru nimmt er seinerseits Schüler an, denen er dann Mantras gibt.
Gurus leiten normalerweise klösterliche Wohngemeinschaften, so genannte Ashrams, in denen sie mit ihren Anhängern zusammenleben. Auch die von Gurus außerhalb Indiens gegründeten Zentren, in denen diese eher selten anwesend sind, werden oft als Ashrams bezeichnet.
In den meisten Traditionen bleibt zwischen dem Guru und seinen Anhängern ein nicht zu überbrückender, qualitativer Abstand, ein Gefälle, das besonders in der rituellen Guru-Verehrung (Guru-puja) oder Schau (darshan) erkennbar wird. Dieses Gefälle verleitet zum Missbrauch oder führt zu einer Überhöhung des Gurus, die teilweise groteske Züge annehmen kann.
So etwas ist auch in verschiedenen Gruppen mit hinduistischen Wurzeln passiert, die in den letzten Jahrzehnten im Westen auftauchten. Vertreter wie Bhagwan/Osho (Rajneesh Chandra Mohan, 1931–1990), Maharishi Mahesch Yogi (1918–2008 – Transzendentale Meditation, TM) oder A. C. Bhaktivedanta Swami Prabhupada (1896–1977 – Internationale Gesellschaft für Krishnabewusstsein [ISKCON], Hare Krishna-Bewegung) gehören darum in den Bereich der Weltanschauungsarbeit, wo solch ein religiöser Missbrauch behandelt wird.