Senioren in Niedersachsen, die selbst im Krieg oder danach Schlimmes erlebt haben, suchen seit Beginn des Ukraine-Kriegs immer öfter das seelsorgerliche Gespräch. Dies beobachtet die Beauftragte für Altenseelsorge der evangelischen Landeskirche Hannovers, Anita Christians-Albrecht. „Die Fernsehbilder aus der Ukraine lösen bei alten Menschen mit Kriegserinnerungen viel aus. Viele schlafen schlecht oder träumen wieder von schlimmen Erlebnissen aus Kindertagen“, sagte die Pastorin dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Mehr Menschen als sonst möchten über die Erlebnisse sprechen, einige zum ersten Mal in ihrem Leben.“ Kollegen, die regelmäßig in Altenheimen arbeiten, bestätigten dies.
Auch am Telefon nehme sie den erhöhten Redebedarf wahr. Christians-Albrecht hat das „Krisentelefon der christlichen Kirchen in Niedersachsen“ organisiert. Sie und ihre 35 Kollegen nähmen täglich bis zu 40 Anrufe entgegen. Aufgrund der hohen Nachfrage wurde das temporäre Projekt bis zum 1. April verlängert.
Viele Menschen hätten seit frühesten Kindertagen kaum über traumatisierende Erfahrungen wie nahe Bombenexplosionen, Fluchterlebnisse oder die Konfrontation mit Toten und Verletzten gesprochen. „Sie sind erstaunt, wie nahe ihnen die Bilder aus der Ukraine gehen und wie viele eigene Bilder ihnen wieder vor Augen sind“, sagte die Theologin
Schon 1991 während des Zweiten Golfkriegs habe sich gezeigt, dass gegenwärtige Konflikte Kriegserinnerungen, mitunter auch vergessen geglaubte Ängste und Traumata, wachrufen können. „Damals wandten sich viele Menschen, die den Zweiten Weltkrieg miterlebt hatten, an Psychotherapeuten“, erläuterte Christians-Albrecht. Zunächst könne aber jeder ein hilfreicher Gesprächspartner sein. „Hören Sie zu“, riet die Theologin. „Und zwar wertschätzend und so, dass Sie würdigen, dass es schlimm war, was das Gegenüber als Kind erlebt hat. Diese Würdigung ist oft der erste Schritt zur Heilung.“
Wer sich in eine beängstigende Situation zurückversetzt fühle, dem könne alles helfen, was früher schon Stabilität gegeben habe. Wem der Glaube in Kindertagen eine Stütze war, für den könne er auch jetzt eine wichtige Ressource sein, betonte die Pastorin. „Vielen half es, wenn die Oma im Bombenkeller die Hand hielt. Das hören wir immer wieder.“ Angehörige könnten auch heute Halt geben, indem sie Nähe gewähren. „Zeigen Sie, dass sie da sind, mit Besuchen oder auch, indem Sie anrufen.“
Manchmal helfe es Betroffenen auch, aktiv zu werden. Viele empfänden es als befreiend, sich zu engagieren, sei es bei der Einrichtung von Flüchtlingsunterkünften oder auch bei Friedensgebeten in der Kirchengemeinde. „Und natürlich ist es auch erlaubt, den Nachrichtenkonsum zu begrenzen und den Fernseher öfter ausgeschaltet zu lassen, wenn die Eindrücke zu sehr belasten.“
Urs Mundt/Evangelischer Pressedienst (epd), Landesdienst Niedersachsen-Bremen