Für viele Menschen bedeutet Pfingsten vor allem ein langes, freies Wochenende. Aber selbst viele Christinnen und Christen können nicht genau erklären, was es mit Phänomenen wie der Ausschüttung des Heiligen Geistes auf sich hat. Der Göttinger Theologieprofessor Wolfgang Reinbold erläutert im epd-Gespräch Ursprung und Bedeutung des schwer zu fassenden Kirchenfestes.
epd: Mit Weihnachten und Ostern wissen auch Menschen ohne christliche Prägung etwas anzufangen. Und selbst Himmelfahrt ist vielen aufgrund des selbsterklärenden Namens irgendwie ein Begriff. Pfingsten hingegen erntet bei Straßenumfragen regelmäßig Achselzucken. Warum eigentlich?
Reinbold: Das hat vermutlich vor allem drei Gründe. Erstens die Festlegende: Bei Ostern und Weihnachten ist sie klar und einfach: Jesus wird geboren, Jesus stirbt und wird auferweckt. Bei Pfingsten ist es komplizierter. Irgendwas ist da mit dem Geist. Aber was eigentlich? Das ist nicht ganz einfach zu erzählen.
Zweitens das Thema des Festes: Es geht um den Geist, genauer gesagt: um den „Heiligen Geist“. Geist kann man nicht sehen und nicht abbilden. Die Kunst hat sich mit dem Symbol der Taube beholfen. Und die hat heutzutage nun wirklich kein gutes Image mehr.
Und drittens die Entwicklung des Festes: Pfingsten hat in der Geschichte der Kirchen nie eine vergleichbare Rolle gespielt wie Ostern und Weihnachten. In den ersten Jahrhunderten hat man es zunächst gar nicht als eigenständiges Fest gefeiert. Und eine volkstümliche Version - Stichwort Weihnachtsmann oder Osterhase - gibt es auch nicht.
epd: Was war denn nun an Pfingsten, Herr Reinbold?
Reinbold: In der Bibel wird zu Beginn der Apostelgeschichte davon erzählt, dass die Schüler Jesu am Tag des Wochenfestes vom Geist Gottes erfüllt wurden. Das wird auf ziemlich dramatische Weise geschildert. Es ist die Rede von einem „Brausen“, das aus dem Himmel hervorbricht, und von „Zungen wie von Feuer“. Und dass die Schüler Jesu plötzlich Sprachen sprechen, die sie eigentlich gar nicht können, sodass sich die Umstehenden wundern und sich fragen: Was ist da los?
Die Geschichte verdichtet eine der Grunderfahrungen der ersten Christgläubigen. Sie erlebten, dass der Geist Gottes in ihnen auf eine besondere, unvorhergesehene und manchmal überwältigende Weise wirkte. Er fügte Menschen aus allen Nationen zu einer Gemeinschaft zusammen. Manchmal sprachen sie in dieser Gemeinschaft in fremden oder unverständlichen Sprachen. Der Geist füllte sie so sehr aus, dass sie in Verzückung gerieten.
epd: Und welche Botschaft spricht aus diesem Pfingstgeschehen?
Reinbold: In der Apostelgeschichte tritt Petrus auf und deutet diese seltsamen Phänomene als Erfüllung eines Wortes des alttestamentlichen Propheten Joel. Er hatte vorhergesagt, dass Gott am Ende der Tage seinen Geist über alles Fleisch ausgießen wird. Dieses Wort bezieht die älteste Christenheit auf sich selbst, mit einer doppelten Pointe:
Erstens: Gottes Geist wirkt unter uns, in unseren Gemeinden. Er bewirkt Befreiung, Erleuchtung, sittliche Verwandlung, Liebe, Freude, Frieden, Geduld und vieles andere mehr. Und zweitens: Gottes Geist wirkt unter Menschen aus allen Völkern, nicht nur unter den Israeliten, an die sich das Wort des Propheten ursprünglich richtete.
epd: Wie wird Pfingsten heute gefeiert?
Reinbold: Das Pfingstfest, wie wir es heute kennen, entwickelte sich aus diesen beiden Grundimpulsen. Christen feiern es als das Fest des heiligen, Leben schaffenden, Menschen verbindenden Geistes. Und als den Tag, an dem die große und bunte Gemeinschaft der Christinnen und Christen ihren Anfang nahm. Besonders wichtig ist in den letzten Jahren der Bezug auf die Ökumene geworden, also auf die weltweite Gemeinschaft der Kirchen. Pfingsten ist das Fest der Einheit der Christinnen und Christen - über alle von Menschen gemachten Trennungen hinweg.
epd: Warum heißt Pfingsten eigentlich „Pfingsten“?
Reinbold: Der Begriff entwickelte sich durch Lautverschiebungen aus dem griechischen Wort „Pentekosté“. Das ist der Name des Pfingstfests im Neuen Testament. „Pentekosté“ heißt ursprünglich nichts anderes als „50“. Pfingsten ist also das „50-Tage-Fest“, das Fest, das 50 Tage nach Ostern gefeiert wird - ganz so, wie das biblische Wochenfest sieben Wochen, also rund 50 Tage, nach dem Pessach-Fest gefeiert wird.
Und so ist es bis heute geblieben. Christen feiern Ostern und Pfingsten im Abstand von sieben Wochen. Juden feiern Pessach und Wochenfest, Schavuot genannt, im Abstand von sieben Wochen. Oft finden die Feste ungefähr zur gleichen Zeit statt, so wie in diesem Jahr.
Evangelischer Pressedienst (epd), Landesdienst Niedersachsen-Bremen